Transatlantische Orchesterprobe
An der Heimschule läuft ein deutschlandweit einmaliges Musikprojekt / Dirigier-Professoren in den USA coachen BläserKlasse.
ETTENHEIM. "Great. I’am proud of you", hallt es aus dem Off – und drei Dutzend Gesichter quittieren den Gefühlsausbruch mit zurückhaltendem Stolz. Das Lob kommt aus berufenem Munde – und aus einem Studierzimmer der School of Music an der University of Michigan in Ann Arbor/USA. Dort, 6000 Kilometer von Ettenheim entfernt, sitzt Professor John Pasquale. Dem renommierten Dirigierprofessor entgeht nichts, was sich im engen Proberaum der Bläserklasse der Heimschule tut. Bilingualer Online Tele-Unterricht macht’s möglich. Via Laptop und Blue-Jeans-Programm scheint der Musikprofessor mitten im Proberaum. John Pasquale führt durch die Probe und sagt an, das Orchester mit Schülern aus Realschulschulstufe sieben und acht dirigieren kann er allerdings trotz modernster Kommunikationstechnik nicht. Das übernimmt Christoph Breithack, Musiklehrer an der Realschule, auch eine ausgewiesene Kapazität und als Dozent für Bläserklassen bundesweit unterwegs. Er ist während der 60 Minuten dauernden Probe sozusagen der verlängerte Arm des Professors, dessen Gestik und Mimik die jungen Musikerinnen und Musiker über eine Beamer-Projektion an der Wand zugleich verfolgen können.
Breithack hat diesen für eine deutsche Schule wohl einzigartigen transatlantischen Austausch im Fach Musik auch eingefädelt. Im Dezember 2012 war der Freiburger Musikpädagoge auf einer Fortbildung für Orchesterunterricht in Chicago. Mit 17 000 Besuchern die größte Veranstaltung ihrer Art weltweit. John Pasquale war einer der Dozenten und demonstrierte das Ergebnis seiner Unterrichtssystematik mit einem amerikanischen Schulorchester, mit dem er nur über Bildschirm geprobt hatte. "Die Unterrichtsmethodik für jedes einzelne Orchesterinstrument einerseits und andererseits die methodische Systematik, mit der die Inhalte der Probenarbeit vermittelt werden, haben mich fasziniert und auch neugierig auf eine Zusammenarbeit gemacht. Am Rande der Fortbildung in Chicago haben wir dann die transatlantische Kooperation aus der Taufe gehoben, an der neben John Pasquale auch dessen Assistein Andrea Brown und Kollege Professor David Clemmer aus Kentucky beteiligt sind", erklärt Christoph Breithack.
Mit Schuljahresbeginn starteten die Online-Tele-Unterrichtsstunden – einmal im Monat als Zusatzeinheit zur eigentlichen Probearbeit in der Bläserklasse. Immer mittwochs um 14 Uhr sitzen nun 36 Realschülerinnen und Realschüler im kleinen Probenraum im Internatsgebäude der Heimschule und erwarten Tipps, Kritik und gerne auch Lob der amerikanischen Dirigierprofessoren – in englischer Sprache. Christoph Breithack übersetzt.
So wie beim gemeinsamen Online-Termin am Mittwoch dieser Woche. Die Notenblätter zu Shackleford Banks von Jay Bocook liegen auf den Notenständern, ein schon sehr anspruchsvollen Stück. Am zweiten Mai-Wochenende will die Bläserklasse damit auf dem Bläserklassenkongress an der Hessischen Musikakademie in Schlitz überzeugen. Dazu werden auch eigens die Professoren aus Michigan und Kentucky anreisen.
Doch noch geht’s online: Nach dem einführenden Smalltalk übers Wetter – harter Winter in Michigan, erste Frühlingsboten in Ettenheim – wird so etwas wie lockere Konzentration bei Musikern und Professoren spürbar. Die Probenarbeit ist intensiv, aber ein lockerer Spruch zwischendurch geht immer. In Kommunikation und Vokabeln dominiert John Pasquale. Da ist von "gemeinsamen Puls" die Rede und von "Hör-Level eins oder zwei". Begriffe, die den Schülerinnen und Schülern inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen sind.
Hör-Level eins bedeutet, dass die Musiker nur auf ihr eigenes Spiel achten sollen, bei Hör-Level zwei soll ein klangliches Trio mit den beiden Nebensitzern gebildet werden. Und in Hör-Level drei wird das Trio in klangliche Relation zu den anderen Gruppen im Orchester gebracht.
Das klingt auch für den Laien irgendwie logisch, von solchen Stufen des Zuhörens hatten die Schülerinnen und Schüler zuvor allerdings noch nichts gehört. "Das ist einfach cool und nur spannend", spricht die Begeisterung bei Samira, Querflötistin, heraus. Und Klarinettistin Anna glaubt selbst zu spüren, dass der Klang von Monat zu Monat besser wird: "Das empfinden wir alle so." Auch Breithack, der nicht nur die Fortschritte der Bläserklasse mit Begeisterung beschreibt ("Sie werden besser und auch selbstbewusster") erkennt das. Er sieht darüber hinaus die Reflektion in seine eigene Arbeit hinein: "Ich lerne durch die Zusammenarbeit mit den Kollegen viel und nehme aus jeder Online-Stunde neue Impulse für den Unterricht mit." Einfach great.